Mittwoch, 27. März 2019

Behindert

27. März 1995. Während ich dieses Datum aufschreibe, gehen mir viele Gedanken durch den Kopf. Heute vor 24 Jahren habe ich mein erstes Kind bekommen. Behindert. Gesundheitlich stark beeinträchtigt. Geistig eingeschränkt. Mit einer seltenen nicht vererbten Chromsomenanomalie (Translokation).

Nie hätte ich mir damals vorstellen können, was das bedeutet und was damit auf uns zukommt. Nichts war normal. Die Schwangerschaft war geprägt von Sorge und Angst und die Entbindung ein geplanter Kaiserschnitt in Vollnarkose. Mein Kind habe ich erst nach Tagen zum ersten Mal gesehen. Als Mutter habe ich damals kaum gefühlt, eher als Krankenpflegerin. Und das hat sich auch in den knapp 16 Jahren mit unseren besonderen Tochter nicht geändert. Ein wirkliches Muttergefühl kam erst mit unseren gesunden Kindern.
 
Ob wir uns damals anders entschieden hätten, wenn wir gewusst hätten, wie alles wird? Ich weiß es nicht, es macht mich traurig, wenn ich darüber nachdenke und im Nachhinein ist das wirklich schwer zu sagen. Und heute weigere ich mich, diese Frage zu beantworten: Wann ist ein Leben lebenswert oder nicht lebenswert?

Ein neuer Blut- bzw. Gentest ermöglicht heute eine genaue, aber risikofreie Diagnose, ob das ungeborene Kind unter einem der untersuchten Chromosomenfehler leidet. Neben Trisomie 21 kann der Test sechs weitere Chromosomen-Anomalien entdecken: Trisomie 18, Trisomie 13, das Klinefelter-Syndrom, das Turner-Syndrom, das Triple-X-Syndrom und das XYY-Syndrom. Dieser Test hätte in unserem Fall nichts gebracht.

Worüber ich nachgrübele, ist die Tatsache, dass über 90 Prozent der werdenden Eltern, die von einer Trisomie 21 erfahren, die Schwangerschaft abbrechen- auch zu späten Zeitpunkten.  Ich glaube, ich könnte das nicht, besonders zu einem Zeitpunkt, wo ich das Ungeborene schon spüre und eine Bindung zum Kind aufgebaut habe. Ich habe es jedenfalls damals nicht gekonnt. 





4 Kommentare:

  1. Ein schweres Thema, das wohl jeder mit sich selbst ausmachen muss.
    Aber Danke für Deine Offenheit, uns hier davon zu berichten.
    Ich wünsche Dir einen schönen Start und ich glaube, Du hast damals alles richtig gemacht.
    Ganz lieben Gruß
    Nicole

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  2. Liebe Gina, wir haben uns bei allen Kindern bewusst gegen pränatale Tests entschieden, da wir Kinder als Geschenke ansehen. Als wir dann ein Kind mit Beeinträchtigungen bekamen, sind wir mit diesem Kind gemeinsam einen nicht immer einfachen Weg gegangen. Heute sage ich: alles richtig gemacht. Ich würde es wieder so machen. Lieber Gruss Tanja

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  3. Bewegende Worte. Und zu dem Thema komme ich immer mehr zu dem Schluß, dass man sich am besten abgewöhnt auch nur irgendwie über die Menschen zu urteilen, die in einer solchen Lage sind. Man kann es sich nicht vorstellen und die Auswirkungen auf das Leben der Eltern und der näheren Umgebung.
    Man sollte einfach respektieren, wie die Menschen entscheiden.
    Ich finde deine Worte sehr berührend!

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  4. Liebe Gina,
    .......du hast mich immer und immer wieder lesen lassen....dein Bericht ist so tief und hat mich sehr berührt......du, und deine Familie ihr habt einen guten Weg gefunden - und vergessen kann man ein Kind nicht.
    ein schönes Frühlingswochenende
    liebe Grüße *rena*

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